Archiv | September, 2012

Weiblich, ledig, jung, sucht (nicht)…

14 Sept

„Willst du einen Freund? Dann melde dich bei uns an und finde den richtigen Mann, unkompliziert und kostenlos!“

Dieser Werbebanner begrüßte mich gerade bei Facebook.

Nein. Ich möchte keinen Freund, zufälligerweise habe ich nämlich einen. Den Einen. Den Besten.

Aber natürlich gab es auch einmal Zeiten, da hatte ich keinen.
Und zahlreiche wundervolle Single-Frauen in meinem Umfeld haben keinen und wollen bestimmt auch einen.

Vielleicht sollte ich sie mal darauf hinweisen, dass das ganz einfach ist, mit dem Freund: Unkompliziert und kostenlos! Männerflat!Mit Garantie zum Verlieben. Oder?

Ich oute mich hiermit.
In Zeiten, in denen ich keinen Freund hatte, aber gerne ganz unkompliziert und kostenlos einen gehabt hätte, meldete auch ich mich bei einer entsprechenden Single-Plattform an.
6 Wochen habe ich durchgehalten.
Kostenlos war es, durchaus.
Aber unkompliziert?

Ich meldete mich also damals an.
Legte mir einen Benutzernamen zu, gab mein Geburtsdatum (selbstverständlich mit Zahlendreher in Tag und Monat und einem kleinen Toleranzabzug von 1 Jahr im Geburtsjahr) sowie meinen Wohnort (natürlich nicht Bielefeld, sondern eine andere Stadt im nahen Umfeld) an, ferner, dass ich interessiert an einer „festen Beziehung“ sei.

Noch während ich darüber nachdachte, ob ich denn nun im Folgenden ein Foto hochladen solle, wurde ich angechattet:
„Hallo, ich bin Thomas und dein Profil klingt sehr interessant, du bist genau mein Typ, ich würde dich gerne kennenlernen!“
„Ok,“ dachte ich, „mein Profil offenbart ihm bislang mein (ein klein bisschen korrigiertes) Geburtsdatum und meinen (angeblichen) Wohnort, wenn das schon so interessant ist, dann will ich nicht wissen, was hier abgeht, wenn ich als Hobby „Serviettentechnik“ angebe, vermutlich hagelt es dann sofort Heiratsanträge…“
Noch neu auf dieser Plattform antwortete ich höflich nach Begutachtung seines Profils (die nächsten 453 Male, die in der Folgezeit Chatanfragen mit nahezu identischem Text kamen, habe ich dann auch irgendwann ignoriert…) „Hallo Thomas, vielen Dank für deine nette Anfrage, allerdings suche ich einen Mann, der maximal 50 ist. Leider teile ich ebenfalls nicht deine Tierliebe. Ich wünsche dir aber viel Erfolg bei der weiteren Suche!“

Meine nächste Amtshandlung auf meinem Profil war dann eine Eingrenzung des Alters meines Traummannes sowie der Kommentar „Fotos von Männern mit Tierbabys auf dem Arm als Avatar“ in der Kategorie „Das sollte mein Traummann auf keinen Fall haben“.

In dieser Kategorie ergänzte ich am Folgetag, nachdem ich mittlerweile auch ein Foto hochgeladen hatte, auf dem erkennbar war, dass ich blond und blauäugig bin und keine 120 Kilo wiege) außerdem noch: „Fotos mit nacktem Oberkörper auf ihrem Avatar“ sowie „Fotos mit prolligen Autos auf dem Avatar“, nachdem mich in der Masse der Nachrichten selbige von Justin, 21, „hey süße ich find dich total sexi wolen wir mal tel oder so schik mir doh mal deine priv handynr“ (Antwort: „Lieber Justin, sofern du ernsthaftes Interesse an einer Deutsch-Nachhilfe hast, darfst du dich gerne wieder bei mir melden!“) sowie die von Christian, 38, „Wunderhübsche junge Dame, dürfte ich Sie zum Shopping auf der Kö einladen? Anreise und Shoppingerlebnis sowie ein anschließendes Dinner werden selbstverständlich von mir bezahlt!“ (Antwort: „Werter Herr, vielen Dank für das freundliche Angebot, leider muss ich dankend ablehnen, da ich mein eigenes Geld verdiene und mir sowohl meine Textilgüter als auch die notwendigen Nahrungsmittel selbst finanzieren kann!“)

Ich erspare euch den wörtlichen Rest.

Aber ich wurde eingeladen zu Dates mit Rentnern, bekam Angebote, meinen Körper für sehr viel Geld zu verkaufen, Angebote, den Körper eines Mannes für sehr viel Geld zu kaufen, wurde von ein und demselben Mann quasi minütlich angeschrieben und nach meiner, wie ich finde, sehr netten Antwort auf seine 143. Nachricht: „Hey, warum schreibst du mir nicht zurück, bin ich dir nicht gut genug?“ “ Lieber Heinz, vielen Dank für dein Interesse an meiner Person, leider glaube ich nach Ansicht deines Profils nicht, dass wir so gut zusammen passen, ich wünsche dir aber viel Erfolg bei deiner weiteren Suche nach einer geeigneten Lebenspartnerin“ aufs übelste beleidigt, bekam tatsächlich Heiratsanträge, aber auch wirklich sehr nette Nachrichten von sehr interessanten Herren, mit denen ich mich im wirklichen Leben zu damaliger Zeit möglicherweise gerne mal auf einen Kaffee getroffen hätte.

Aber es war dort immer diese Barriere des „Partnerportals“.
Ich konnte nie glauben, dass das, was mir auf dem Profil preisgegeben wurde, auch tatsächlich der Realität entspricht.
Ich meine, sogar ein grundehrlicher Mensch, wie ich es bin, hat ja geschummelt, zumindest mit der Angabe des Geburtsjahres „1983“.

Und irgendwie war da auch immer die Angst, man könne nach einem solchen Date möglicherweise tatsächlich seinen Lebenabend teilweise in einer Mülltonne in der Arndtstraße verbringen.
Und teilweise im Teutoburger Wald.
Und diese Vorstellung einzelner Teile von mir verstreut in unterschiedlichen Stadtteilen Bielefelds hat mich schließlich auch bewogen, das mit dem Daten mal lieber zu lassen.

Wobei, ich gebe zu: einmal habe ich mich getraut und mit einem sehr netten Banker einen Kaffee getrunken.
Er war wirklich sehr nett.
Und es hätte der Beginn einer wunderbaren Freundschaft sein können.
Wenn ich nicht schon einen gut funktionierenden und völlig zufriedenstellenden Freundeskreis hätte.
Und zu mehr reichte es halt einfach nicht, das merkte ich bereits auf den ersten Blick.

Letztlich glaube ich: Die Wahrscheinlichkeit, jemanden kennenzulernen, in den man sich wirklich verliebt, ist nicht kleiner, aber auch nicht größer, als im wirklichen Leben.
Die Gefahr, „falsche“ oder „gefährliche“ Menschen kennenzulernen, ebensowenig.
Aber diese Singlebörsen-Hemmschwelle besteht. Und ist einfach nicht wegzuchatten.

Unkompliziert? Mitnichten.
Kostenlos? Ja.
Aber das ist das Kennenlernen in realiter ja nunmal auch.

Wobei ich eigentlich nichts sagen darf.
Meinen Freund habe ich über Twitter kennengelernt.
Allerdings bat er mich neulich, das doch nicht immer zu betonen.
Er meinte: „Schatz, wenn du schon sagen musst, dass wir uns im Internet kennengelernt haben, könntest du dann nicht wenigstens sagen, über „Facebook“? Das klingt nicht ganz so nerdy wie „Twitter“!“

Fazit: Die Liebe geht ihren eigenen Weg. Manchmal überwindet sie auch Internet-Hemmschwellen.

Und: Twitter ist schließlich auch keine Singlebörse.

Und mein Freund saß auf seinem Avatar auch nicht mit nacktem Oberkörper und einem Babykaninchen in einem R8.
So.
Ich finde, das normalisiert das Ganze.

Liebesgeschichten (mit Blumen)

5 Sept

Eigentlich wollte ich nur kurz ein paar Lilien für meine Bodenvase im Flur kaufen.
Ich stand also im Blumenladen an der Kasse (irgendwie beginnen meine Blogeinträge meistens damit, dass ich an der Kasse stehe, vielleicht rechne ich demnächst mal aus, wieviel meiner Lebenszeit ich an Kassen verbringe!) und wartete darauf, dass die Floristin der Dame vor mir ihr Biedermeiersträußchen einpackte, als mir ein älterer Herr von hinten auf die Schulter tippte: „Entschuldigung, junge Dame, ich drängele mich ja nur ungern vor, aber meine Frau kommt gleich von ihrem Arzttermin wieder, und ich würde sie gerne in Empfang nehmen, deswegen habe ich es etwas eilig, würde es sie also stören, mich vorzulassen?“

Der Herr war weit über 80, nicht mehr ganz sicher auf den Beinen, und hielt in der Hand einen Bund gelber Rosen.
Ich hatte es nicht eilig, antwortete also mit ja.
Im Folgenden berichtete er mir: „Wissen Sie, wir haben heute 63. Kennenlerntag. Heute vor 63 Jahren trafen wir uns das erste Mal, ich schenke ihr seitdem jedes Jahr an diesem Tag gelbe Rosen!“

Spätestens zu diesem Zeitpunkt hätte ich ihn in der Reihe vorgelassen, notgedrungen, weil ich mich sowieso hätte hinter einem Busch Chrysanthemen verstecken müssen, um unauffällig ein Rührungstränchen wegzuwischen.

Und das nicht nur, weil es mich an meine Großeltern erinnert hat.

1944 in der Nähe von Frankfurt.
Jahresball im Vereinsheim.
Die Schwester meiner Großmutter wollte dort tanzen, mit ihrem Freund.
Meine Großmutter nicht. Sie war Single und sah keinerlei Veranlassung, zu diesem Ball zu gehen.
Dummerweise sollte sie als Anstandsdame fungieren.
Ihre Schwester hatte schon mehrfach versucht, sie zu verkuppeln, so auch dieses Mal.
„Mein Freund hat einen ganz netten Arbeitskollegen, den Leo. Der wäre was für dich!“
„Leo?!?“ Meine Oma war schon immer sehr direkt. „Ich glaube kaum, dass ein Mann mit einem derart bescheuerten Namen jemand für mich sein könnte!“
Schließlich ging sie mit. Weil ihre Schwester ansonsten nicht die elterliche Erlaubnis bekommen hätte.

Zeitgleich redete der Freund der Schwester meiner Oma auf seinen Kollegen ein: „Leo, du musst mitkommen! Elfriede darf nicht zum Ball, wenn ihre Schwester nicht mitkommt! Und die braucht einen Begleiter!“
„Aber ich muss doch arbeiten!“ sagte mein Opa (er verdiente sich derzeit nach der normalen Arbeit noch etwas Geld mit Schnapsbrennerei dazu.)
„Dann kommst du halt später!“ antwortete Walter, „und bring am besten gleich ein bisschen Schnaps mit!“

Der Tag des Balls.
Mein Großvater war ein Mann, der wusste, was sich gehörte.
Auch wenn er wenig begeistert war, nach Feierabend noch zu einem Ball gehen zu müssen, um der Begleiter einer ihm unbekannten „Lydia“ zu sein („Ist sie denn wenigstens hübsch?“), gab er Walter einen Strauß weißer Rosen mit, mit der Bitte, sie meiner Oma im Vorfeld zu übergeben, um zu entschuldigen, dass er erst später käme.

Walter überreichte die Rosen. Allerdings an seine eigene Freundin, die Schwester meiner Oma, die sehr entzückt war, dass ihr ansonsten doch eher sparsamer Freund eine solche Investition gewagt hatte.

Dann saß meine Oma am hintersten Tisch des Raumes, mit Blickrichtung zur Tür. Bei jedem Herrn im Anzug, der den Raum betrat, flüsterte Elfriede aufgeregt: „Das ist bestimmt Leo!“
Gelegentlich schnupperte sie auch verzückt an „ihrem“ Rosenstrauß).
Aber ein Mann nach dem anderen ging vorbei.

Nach einer Stunde war meine Oma völlig genervt und sagte: „Ich geh gleich nach Hause, und euren Leo könnt ihr euch sonstwohin stecken!“, als die Tür aufging, und ein großer, schlanker und überdurchschnittlich attraktiver Mann den Raum betrat, auf den sich alle Blicke richteten.
„DAS ist Leo!“ jubelte Elfriede zufrieden.
„Klar!“ sagte meine Oma, „genauso, wie die letzten 15 Männer, die diesen Raum betreten haben, auch!“, stand auf, und wollte ihren Mantel holen.
Aber der Mann kam auf den Tisch zu, blieb vor ihr stehen und sagte: „Guten Abend, Sie müssen Lydia sein! Entschuldigen Sie vielmals die Verspätung! Meine Blumen sollten Sie aber schon erhalten haben? Ich habe weiße Rosen gewählt- aber vielleicht werden sie im Laufe der Zeit ja noch rot?“
Da sprang meine Oma mit einem Aufschrei auf ihre Schwester zu, riss ihr die Rosen aus der Hand und schrie: „Gib her! Das sind meine!!!“

Danach haben sie den ganzen Abend getanzt und geredet.
Mein Opa fand Lydia hübsch.
Und lief jeden Tag nach der Arbeit 15 Kilometer zu Fuß in den Heimatort meiner Oma, um sie zu besuchen.
Und meine Oma fand plötzlich, dass Leo doch gar nicht ein ganz so bescheuerter Name ist.

Die Rosen sind rot geworden.
Und 57 Jahre lang rot geblieben. Dann starb mein Großvater.

Sie hatten gute und schlechte Zeiten, es sind sicherlich auch viele harte Worte gefallen, sie hatten mit schlimmen Schicksalsschlägen zu kämpfen, aber nie haben sie die Liebe und den Respekt voreinander verloren.
In 57 Ehejahren konnte man an 10 Fingern die Nächte abzählen, die sie getrennt voneinander verbrachten.
Und jedes Jahr, am Kennenlerntag, bekam meine Oma einen Strauß weißer Rosen.

Und mein Opa sagte regelmäßig zu mir: „Deine Oma ist das Beste, was mir passieren konnte!“
Und meine Oma sagte: „Dein Opa war vom ersten Moment an meine ganz große Liebe!“

Und ich gebe es an dieser Stelle zu: Nicht zuletzt wegen dieser großen Liebe, die mein Leben lang vor meinen Augen gelebt wurde und die für mich für mich einerseits etwas Selbstverständliches, andererseits doch Besonderes war (das habe ich irgendwie bereits als kleines Kind gespürt), glaube ich an die „große Liebe“.

Und ich glaube auch, dass viele heutzutage zu wenig daran glauben.
Sich binden? Nur unter Vorbehalt!
Geiz ist geil!
Im Grunde logisch: Wenn man, von Anfang an, in Erwägung zieht, eine Beziehung bald wieder aufzugeben, ist es zu teuer, zuviel zu investieren.
Einweg-Beziehungen: mindere Qualität, für kurze Zeit ausreichend, nicht sonderlich stressresistent, aber praktisch. Nicht alleine sein und keinen allzuhohen Preis für die Zweisamkeit zahlen- das Modell vieler Verbindungen.

Das H&M-Prinzip: Man weiß, dass das Top, das man kauft, nicht so schön ist, wie das im Nachbarladen, aber es kostet nur 5,99 €. Man weiß auch, dass es nach 3 Waschgängen total verfusselt ist, an Länge und Farbe eingebüßt, dafür an Breite ein Vielfaches gewonnen hat, aber: Hey, es kostet nur 5,99 €! Dann wirft man es halt weg.
Ein Lebensmodell. Aber nicht meines!

Das „Ja, ich will!“ sagt man nicht erst im Hochzeitskleid vor dem Traualtar, insbesondere auch nicht, weil man mal ein Hochzeitskleid vor dem Traualtar tragen will und weil so viele Menschen darauf warten, dass man es sagt, man sagt es nicht mit dem Wissen, dass es ja rechtliche und tatsächliche Möglichkeiten gibt, Ehen oder Beziehungen zu beenden, das sollte man zumindest nicht.

Ich persönlich sage mein „Ja, ich will!“ in dem Moment, in dem ich einen Menschen so kennengelernt habe, dass ich sagen kann „Ich will groß mit dir werden!“, wenn ich weiß, dass ich bereit bin, mit diesem Menschen zu leben, ihm Fehler zu verzeihen und auch Kompromisse einzugehen.

Deswegen lasse ich ältere Herren an der Kasse im Blumenladen vor und höre mir gerührt Lebensgeschichten an, die in dieser Generation häufig tatsächliche Liebesgeschichten sind.
Liebesgeschichten fern von reinem Disney-Kitsch, Liebesgeschichten, die Liebe so zeigen, wie sie ist: hoch und tief, fröhlich und beschwingt, auch schmerzlich und brutal, kompliziert und nervenaufreibend, beglückend und erfüllend, aber manchmal auch nahezu unerträglich romantisch!
So romantisch, dass man, würde man es in einem Buch lesen, sagen würde: „Na, da hat der Autor aber an dieser Stelle etwas übertrieben!“
Aber, genau, wie bei den schrägsten Jura-Lehrbuchfällen (Man liest sie und denkt sich: Welcher Jura-Freak hat sich denn eine solch unrealistische Fallkonstellation einfallen lassen? Typisch diese Juristen-Nerds!“ und darunter steht dann das Aktenzeichen der Originalentscheidung des BGH) passieren solche Geschichten eben doch.

Ich beobachtete aus dem Blumenladen heraus, wie der ältere Herr vorsichtig über die Straße ging und eine ältere Dame mit weißem Haar, die sich auf ihren Rollator stützte, mit einem Küsschen begrüßte und ihr die Blumen gab, für die sie sich zärtlich bedankte (und ich bildete mir auch über die Entfernung ein, ihre Augen strahlen gesehen zu haben!)

Danach habe ich übrigens die Lilien stehengelassen und einen Strauß weißer Rosen gekauft.
Für den Friedhof.
Und für mein Vertrauen, dass es sie gibt: Diese eine, echte, wahre, große, ewig fortdauernde Liebe!