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„Spieglein, Spieglein…“ oder: Das Schneewittchen-Syndrom

12 Jul

Vor einiger Zeit saß ich im ICE von Berlin nach Bielefeld.
Während ich so in meiner Zeitschrift blätterte, beobachtete ich auf dem Bahnsteig vier Frauen, offensichtlich Freundinnen, so um die 50. Sie verabschiedeten sich tränenreich mit Bussi-Bussi und vielen Umarmungen, bestätigten sich gegenseitig, wie schön doch der Besuch gewesen sei, wie toll doch alle aussähen, dass man das bald wiederholen müsste und so weiter und so fort…
Drei der Damen stiegen in den Zug und setzten sich auf den Viererplatz neben mich. Lächelnd winkten sie der Dame, die auf dem Bahnsteig zurückblieb, zu, und noch während der Zug anfuhr, meinte die erste: „Mann, die ist aber fett geworden!“, die zweite: „Kein Wunder, hast du gesehen, was die alles gegessen hat?!?“ und die dritte: „Und wie es in der Wohnung aussah- die sollte sich vielleicht auch mal um eine Putzfrau kümmern!“.

Und ich dachte nur: Hört das denn nie auf?!?

Innerlich hatte ich ja, sagen wir mal, die vage Hoffnung, dass sich diese frauentypischen Lästereien über die Jahre auswachsen. Dass man toleranter wird, weniger wertend, weniger vergleichend.
Aber anscheinend bleibt dieses „Schneewittchen-Syndrom“ uns über die Jahre erhalten. Unser Leben ist ein einziges „Spieglein, Spieglein an der Wand…“
Wobei der Satz meines Erachtens nicht weitergeht mit „…wer ist die Schönste im ganzen Land?“ sondern vielmehr mit „…wer ist die Schönere, Klügere, Attraktivere, Fleißigere, Erfolgreichere von der gerade zur Verfügung stehenden Vergleichsgruppe der Damen?“
Der Superlativ interessiert uns regelmäßig nicht so sehr, der Komparativ ist aber fast immer eine solche Frage wert.

Immer wieder wird er klischeemäßig thematisiert, der Frauen-Scanner-Blick.
Und durchaus zu Recht!
Wenn wir anderen Frauen begegnen, scannen wir sie einmal. Gesicht-Körper-Füße-Körper-Gesicht, gerne verbunden mit einem gleichgültigen bis leicht überheblichen Gesichtsausdruck.
Wir wenden ihn Tag für Tag an: Äußerlich bezogen auf körperliche Attribute genauso wie innerlich im Hinblick auf nicht sichtbare Faktoren.

Und dann beginnen die Auf- und Abwertungsmechanismen.
Wir sind per se neidisch, weil wir in erster Linie sehen, was an der anderen Frau vermeintlich besser ist.
Und dann versuchen wir, die vermeintlichen Stärken der anderen herunterzureden, um uns selber in der Hierarchie zumindest auf gleicher Stufe einzuordnen.

So geschehen in Berlin. Fashion Week.
Ich, zu meinem Freund: „Die sind ja schon hübsch, die Models…“
Er: „Hmmh.“
Ich: „Aber schon auch ganz schön mager. Oder?“
Er: „Hmmh.“
Ich: „Ja, findest du doch auch, gell? Ich meine, die sind zwar 20 und haben noch voll schöne Haut, nicht so Falten wie ich, und so, aber trotzdem… Ich muss da immer an ausgehungerte Laborratten denken!“
Er: „Hm.“
Ich: „Brüste haben die ja auch nicht.“
Scannerblick. „Guck mal, die Beine haben lauter blaue Flecken, bestimmt, weil die so mager sind. Und die haben wahrscheinlich auch Calcium-Mangel, siehste, die Haare und so-“
Er: „Ähja.“
Ich: „Aber das Kleid ist schön. Meinste, das gibt es auch in meiner Größe?“
Er: „Bestimmt!“
Pause.
Ich: „Ist mein Popo eigentlich zu dick?“
Er: „NEIN!“
Ich: „Ok.“
Pause.
Ich: „Die haben vermutlich alle kein Abi. Wenn man so wenig isst, bleibt ja keine Energie mehr für die notwendige Konzentrationsfähigkeit!“
Er: „Jaha.“
Längere Pause.
Ich: „Hättest du eigentlich lieber so ein 20jähriges, dürres, dummes Model als Freundin?“

Ich schäme mich fast, solche Dialoge niederzuschreiben.
Aber so bin ich. Sind wir Frauen.

Ich kenne kaum eine einzige Frau, die mit sich rundum zufrieden ist. Sich nicht ständig vergleicht.
Gerade in Sachen Optik sind wir da sehr fixiert. Und auch sehr hart. Mit uns. Und mit anderen.

Wir glauben immer, schöner, klüger, besser sein zu müssen, um liebenswert zu sein.
Glauben, dass unser Kampf um die Spezies Mann dies erfordert.

Andererseits, liebe Artgenossinnen des weiblichen Geschlechts: Wählen wir uns das Männermodel mit dem durchtrainierten Adoniskörper, oder doch den mit dem Grübchenlächeln, der uns jede Woche einen Strauß Blumen mitbringt?
Wollen wir den erfolgreichen Investmentbanker mit vollem Haarschopf, gebleachten Zähnen, Boss-Anzug und Porsche, oder doch lieber den Pädagogen mit Glatze, Segelohren, dafür aber wahnsinnig tollen blauen Augen, der so toll Gitarre spielt, mit uns stundenlang unsere Lieblingsfilme guckt und uns den Rücken streichelt?

Warum sollte das andersherum anders sein?!?

In einer Phase, in der ich ein paar Kilo abnehmen wollte (vermutlich, weil ich Frauen gesehen hatte, die schlanker waren), und bei der Frage: „Hast du Hunger? Wollen wir was essen?“ tagtäglich antwortete: „Nein.“ oder: „Aber nur einen kleinen Salat mit ölfreiem Dressing!“, sagte mein Freund irgendwann zu mir: „Ach, weißt du, das war so schön, am Anfang unserer Beziehung, als du noch IMMER Hunger hattest und man mit dir IMMER Döner essen gehen konnte!“

Eine döneressende Frau.
Auf der Bewertungsskala sehr vieler Männer vermutlich ganz weit oben.
Auf selbiger Bewertungsskala ganz weit unten hingegen wahrscheinlich herausstehende Hüftknochen.
So viel zu der Frage: „Wer ist die Schlankere?“.

Mein Mann mäkelt nicht herum an mir.
Vergleicht mich nicht.
Sucht nicht meine Schwächen.
Für ihn bin ich nur Eines: Die Einzige!
Genau so, wie ich bin.
Mit meiner etwas zu großen Nase.
Meinem kleinen Kugelbauch.
Meinen Piercingnarben.
Meiner Zahnlücke.
Meinen Augenfältchen.

Und ich denke, dass, wenn ich morgens im Bad stünde, vor dem Spiegel, und ihn fragen würde: „Spieglein, Spieglein, an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land!“ so würde mir mein Spiegel (denn wenn er sprechen könnte, wäre er ein sehr weiser und philosophischer, lebenserfahrener Spiegel) wohl antworten:
„Im ganzen Land? Kann ich dir nicht sagen, vermutlich nicht du, aber das interessiert mich auch nicht!
Hier im Badezimmer bist du jedenfalls die Schönste.
Und am Allerschönsten bist du, wenn du mich und dich NICHT STÄNDIG fragst, wer die Schönste ist!
Sondern einfach mal zufrieden damit bist, du zu sein!!!
Und jetzt geh, verdammt noch mal, Döner essen!!!“

Die 10 emotionalsten Umzugsmomente

5 Jul

1. Die letzte Zehntelsekunde beim Heruntersteigen von der Trittleiter,
in der ich den darunter stehenden geöffneten Farbeimer (Farbton
„Schilf“) entdeckte und realisierte, dass es keinen Weg zurück mehr
gibt.

2. Nachdem ich 6 Steckdosen mittels eines nicht wirklich dazu
gedachten und geeigneten Werkzeuges anmontiert hatte und die Sicherung
wieder einschalten wollte, die Feststellung, dass ich vergessen hatte,
selbige auszuschalten.

3. Mit einem tetrisrekordverdächtig bepackten Polo durchgeführte
Vollbremsung bei Tempo 80 auf der B 68.

4. Der fatale Satz von mir, als ich nach Entrümpelung des Kellers 3
Umzugskartons in die Recyclingbörse gebracht hatte: „Och, Mama, lass
uns doch einmal kurz durchgehen und gucken- ich will auch gar nichts
kaufen…“

5. Als bei einer Außentemperatur von 30 Grad Celsius und einer zu
beziehenden Wohnung im 4. Stock die Billyregale nicht in den Fahrstuhl
passten.

6. Der Blick meiner neuen Nachbarin, als ich, etwa 15 lose in meinem
Auto herumfliegende Bücher in einem Einkaufskorb nach oben
transportierend, auf ihre Aussage: „Sie haben ja ganz schön viele
Bücher!“, dies für einen Scherz haltend mit einem Lachen antwortete:
„Ja, die anderen 2.000 sind aber auch vernünftig verpackt!“

7. Die (bereits beschriebene) Entdeckung eines Marienkäfernestes in
meinem Fensterkasten bei Putzen des geöffneten Fensters im 4. Stock.

8. Das erste Duschen in der neuen Wohnung, bei dem ich lernte, dass,
wenn mein Papa sagt: „Du hast noch kein warmes Wasser.“, er damit
meint „Du hast Wasser, das ungefähr doppelt so kalt ist wie das Wasser
der Nordsee im Januar!“

9. Der Brocken Milch in meinem Kaffee nach der ersten Nacht in der
neuen Wohnung, der mich wohl auf ewig daran erinnern wird, dass ich
bei meinem nächsten Umzug als Allererstes den Kühlschrank
transportieren werde.

10. Als mein Mann mit einem guten Rotwein vor meiner Tür stand, um mit
mir auf die Wohnung anzustoßen, ich die Flasche entgegennahm mit den
Worten: “…ich finde meine Gläser nicht. Trinkst du notfalls auch aus
einer Tasse?“