Archiv | November, 2012

Generation Sparkasse

12 Nov

Als ich aus dem Bus steige, ist es 21:09 Uhr.

Es ist schon dunkel.

Und nichts los in Sennestadt.

Ich bin extra eine Haltestelle eher ausgestiegen, um noch Kontoauszüge zu holen.

Der Sparkassen-Vorraum ist hell beleuchtet. Schon von außen sehe ich durch das Fenster auf der rechten Seite einige Jugendliche. Solche „Ich-hab-vielleicht-Angst-vor-denen“-Jugendliche.

„Ok,“ denke ich mir so bei mir, „aber die sind auf der rechten Seite.“ (der Sparkassen-Vorraum ist quasi zweigeteilt, rechts sind zwar grundsätzlich die Kontoauszugdrucker, aber links gibt es auch einen, neben den Geldautomaten). „Gehste einfach nach links, schnell Ausdrucke holen, und dann weg! Wird schon nichts passieren. Außerdem, Madame, bist du groß, immerhin 30 Jahre alt, das schaffen die nur zu zweit, und du kannst Jura, und die nicht (was auch immer dir das in einer solchen Situation bringen soll, aber immer mal wieder gut, das innerlich zu erwähnen!) und außerdem: Augen zu und durch, was soll dir schon passieren!“

Unter Beachtung des Grundprinzips des selbstbewussten Auftritts („Brustrausbauchrein) baue ich also meinen Hunderteinundsiebzigzentimetergroßvierundfünfzigkiloschwer- Körper auf und stapfe forschen Schrittes auf die Tür zu. Sie schiebt sich auf, ich schiebe mich rein, mein Kopf sagt: „Was soll dir schon passieren? Es ist 9 Uhr, die Sparkasse hell beleuchtet, du bist nicht die Einzige auf der Straße und die, vor denen du Angst hast, sind Kinder“, mein Bauch sagt: „Es könnte sein, dass du gleich stirbst! Es ist dunkel draußen, du bist in Sennestadt, es interessiert keinen, was in einer hell beleuchteten Sparkasse vor sich geht und es sind ca. 7 „Kinder“! Und wenn, dann stirbst du für 125,38 €. Mehr können die von deinem Giro-Konto nämlich nicht holen. DU übrigens auch nicht!“ (Dieser Gedanke baute mich übrigens auf: Die Vorstellung, abgemetzelt vor dem Geldautomaten zu liegen und die Täter stellen fest, dass das Konto… naja… sagen wir mal, nicht so richtig viel her gibt.)

Ich betrete also diesen Vorraum, husche, wie ein Schatten, in den Westflügel zum Kontoauszugdrucker- und rechts neben mir, auf einem Tisch, sitzt einer von denen und guckt mich ebenso überrascht und verwirrt an, wie ich ihn.

„Hey.“ sage ich. (Was sagt man auch sonst in einer solchen Situation).

„Hi.“ sagt er.

Er ist schätzungsweise 16, trägt sein Käppie ein bisschen zu hoch, nach meinen konservativen Vorstellungen dafür die Jeans ein bisschen zu tief, nach „Die-Hose-sollte-schon-irgendwie-das-Gesäß-bedecken“-Maßstäben.

Plötzlich nehme ich hinter mir einen Schatten wahr.

Ich drehe mich ruckartig um.

Hinter mir stehen auch noch zwei vo n denen, im Schatten einer Säule. Sie sehen aus, als täten sie da irgendwas Illegales. Mit Drogen.

Ich drehe mich also im Kreis. Gucke nach rechts, zu dem auf dem Tisch sitzenden Käppieträger, wieder nach hinten, auf die zwei Irgendwastueneden, wieder auf den Kontoauszugdrucker… Das Ganze etwa 5 mal.

Dann frage ich den Aufdemtischsitzer: „Stör ich?!? Was Illegales“

Er.“Nö.“

Ich: „Party?!?“

Er:“ Ja, genau, Geburtstag…“ (Lacht) „Wir wärmen uns nur auf!“

Ich: (hole meine Kontoauszüge): „Ist ja auch nett hier, in der Sparkasse.“

Er: (grinst): „Ne!?! Willste auch!?!“ und rückt auf seinem Tisch beiseite.

Ich (irritiert, aber auch belustigt): „Äh, nee, muss noch in den REWE. Beim nächsten Mal, versprochen. Ich bring Bier mit!“

Gehe.

Und lache.

Und dann denke ich nach. Darüber, dass die Umgangsformen dieser Herren astrein waren. Dass sie höflich und freundlich zu mir waren.Dass es keinen Grund dafür gab, Angst vor ihnen zu haben. Außer, dass sie scheiße aussahen.

Aber, ich finde, das Recht hat man in diesem Alter. Ich glaube, auch meine Eltern hatten damals den dringlichen Wunsch, mich wieder in meinen Kinder-Kord-Hosenanzug Größe 148 zu packen, als ich meinte, mit Buffalos meinen Lebensweg beschreiten zu müssen. Als ich mir die Oberlippe piercen ließ-

Auch wir waren damals nicht immer so cool, wie wir uns fanden.

Wir waren genauso (a)sozial, wie die, die jetzt durch ihre Kopfbedeckung 30 cm größer scheinen. Mit 30 cm zu kurzen Beinen. Wegen der Hosen.

Und sahen auch nicht immer so ästhetisch ansprechend aus! Jede Generation hat ihre Trends. Ihr Pubertätsgehabe. Aber jede Generation hat auch die Menschen, die trotzdem eigentlich, trotz ihrer Coolness, gute Menschen sind. Und offen sind für „die Alten“. Zu denen ich mich mittlerweile zählen muss

Ich jedenfalls bin ganz gerührt.

Plädiere für mehr Verständnis. Denn auch wir wollten verstanden und respektiert werden, oder?

Ich werde nächsten Montag einen Träger Bier mitbringen. Und mir erklären lassen, warum die Jungs immer unkoordiniert auf die Straße rotzen müssen.

Als Gegenleistung erwarte ich Verständnis, wenn ich mich um 22 Uhr verabschieden muss.

Weil ich noch meine Steuererklärung zu erledigen habe.