Archiv | Oktober, 2012

Die Ruhe vor dem Sturm

9 Okt

Seit kurzem sammele ich kaputte technische Geräte.
Und das nicht etwa, weil ich den Messie in mir entdecke.
Mit einem „Kaputte-Gebrauchtgeräte-Shop“ ein zweites Standbein aufbauen will.
Oder daraus „Kunst“ machen will.

Vielmehr höre ich in der letzten Zeit immer häufiger den Satz: „Oh je, wenn mein Vater demnächst in den Ruhestand geht, das wird eine Katastrophe- ich weiß gar nicht, was er dann macht…“
Und, obwohl es auch viele Mütter meiner Bekannten gibt, die berufstätig sind, habe ich diesen Satz auf „Mütter“ bezogen noch nie gehört.

Eine Freundin meiner Mutter sagte kürzlich: „Ja, ich weiß ja auch außerhalb der Arbeit etwas mit mir anzufangen. Aber mein Mann glaubt, das Leben besteht aus den zwei Themenbereichen „Arbeiten“ und „Fernsehen“.“

Und tatsächlich scheint es so zu sein, dass viele Männer sich stärker über ihren Job identifizieren, als Frauen. Und ohne Job ein viel größeres Problem mit der Definition ihrer Persönlichkeit haben.

Ist das die Folge gesellschaftlicher Normen? Haben die Männer das „Versorgergen“ dermaßen internalisiert, das heutzutage nicht mehr durch das Jagen des größten Tieres, das Anlegen des größten Fleischvorrat, den Besitz der schönsten Felle, sondern durch ein gutes Jahresbruttoeinkommen und eine verantwortungsvolle berufliche Position unter Beweis gestellt wird?

Während meines Referendariats traf ich an einer Arbeitsstelle regelmäßig auf einen älteren „Kollegen“, der allmorgendlich eifrig durchs Haus eilte und sehr beschäftigt wirkte.
Auf Nachfrage bei anderen Kollegen, wer das denn genau sei und was er konkret mache, wurde mir erklärt, er sei eigentlich gar kein Kollege mehr. Er sei vielmehr zwei Monate vor meinem Arbeitsantritt in den Ruhestand gegangen.
Da er aber vorher eine Führungsposition innegehabt hätte, könne er sich nicht wirklich vorstellen, dass der Laden ohne ihn liefe, weswegen er nach wie vor seine 40-60 Stunden- Woche dort absolvierte.
„Er kann halt nicht ohne Arbeit!“ meinten die Kollegen augenzwinkernd, und ertrugen ihn mit wohlwollender Fassung.

Als ich ihn also das nächste Mal traf und fragte: „Herr X, was machen Sie denn schon wieder hier? Gönnen Sie sich doch mal ihre verdiente Ruhe und genießen Sie ihre Zeit mit ihrer Frau!“, sagte er: „DIE hat mir ja nahegelegt, mal das Haus zu verlassen!“
Ich musste grinsen, weil ich das noch von meiner Oma kannte.
Als mein Opa in den Ruhestand ging, hatte er so ziemlich alles, außer innerer Ruhe.
So stand er Nacht für Nacht auf und entwickelte neue, innovative Ideen, wie man Haus und Garten neu gestalten könnte.
Es wurden, via technischer Zeichnung festgehalten, Wände entfernt, Geschosse aufgestockt, Räume unterkellert, Dachformen geändert etc und diese Änderungen im allmorgendlichen „jour fixe“ (Frühstück) via Flipchart dargestellt.
Nachdem meine Oma in der dritten Woche infolge mit hartnäckiger Überzeugungsarbeit „ihr“ Haus retten musste, schickte sie ihn auf den Golfplatz.

Mit einem Augenzwinkern erzählte ich Herrn X also diese Episode, und schlug ihm auch vor, Golf zu spielen.
„Ja,“ meinte er, „das hab ich ja vorhin schon gemacht. Und außer dem Pool im Garten hat mir meine Frau keine weiteren Änderungen erlaubt, ich wollte ja eigentlich noch eine Dachterrasse für sie entwerfen! Und als ich ihr Radio in der Küche reparieren wollte, sagte sie: „Lieber nicht- jetzt funktioniert es ja wenigstens noch ein bisschen!““ Er klingt nahezu empört.
Ich verkneife mir ein Grinsen, sage ihm, er müsse da ja aber auch seine Frau mal verstehen und frage dann: „Und? Was haben Sie heute noch so vor?“
„Ich wollte mich über weiterführende Schulen für meinen Enkel informieren.“ sagt er, und wedelt mit ein paar Prospekten.
Auf Nachfrage, wie alt sein Enkel denn sei, antwortet er mir ernsthaft mit „Fünf“.
Als ich (mit zugegebenermaßen sehr subtiler Ironie) darauf hinweise, im Stern sei diese Woche auch ein Uni-Ranking gewesen, falls er denn schon wisse, in welche Richtung das Studium seines Enkelsohns gehen solle, fragt er doch tatsächlich (und ich fürchte, ohne selbige subtile Ironie) sehr interessiert nach: „So? In welcher Zeitung, sagen Sie, ist das?“
Ich verabschiede mich kopfschüttelnd.
Vielleicht war meine Ironie tatsächlich nur im Subtext mitschwingend und nicht eindeutig verständlich.

Irgendwie kann ich es ja verstehen.
Nichtstun ist bei weitem nicht so toll, wie es erstmal klingt.
Freizeit kann erdrücken. Das weiß ich aus eigener Erfahrung.
Und vielleicht führt das bei Männern häufig dazu, dass sie die Decke, die ihnen auf den Kopf zu fallen droht, lieber durch eine Dachterrasse ersetzen und sich buchstäblich von einengenden Wänden befreien.
Indem sie die fehlende eigene Struktur durch die Strukturierung der Leben anderer, ihnen nahestehender Menschen, ersetzen.
Sich gebraucht fühlen, wenn sie in der „Männerdomäne“ Technik dazu beitragen, dass irgendwas irgendwie wieder läuft.
Und sei es nur ein Radio.

Seitdem suche ich nach kaputten technischen Geräten.
Weckern. Radios. CD-Playern.
Ich habe mir nämlich überlegt, vorsorglich eine Sammlung anzulegen.

Lieber Papa, lieber Schwiegerpapa in spe, ich tue das für euch! Damit ihr euch gebraucht fühlt- später, wenn es soweit ist.

Naja. Ein bisschen tue ich das auch für mich.
Weil ich keine Lust habe, dass mein Haus irgendwann dem „Änderhaus“ aus der Unendlichen Geschichte gleicht und ich morgens nach dem Aufwachen auf dem Weg zur Dusche feststellen muss, dass sich das Badezimmer nun in einem zweiten Stock befindet, den es am Vorabend noch nicht gab.
Und die Dusche, die bislang nervtötend tröpfelte, nun gar kein Wasser mehr ausschüttet.

Liebe Mama, liebe Schwiegermama in spe: Auch für euch tue ich das!
Ich denke nämlich, ihr wünscht euch keinen Freizeitpark im Garten.
Oder einen Fußballplatz.

Und, liebste ungeborene Kinder, vor allem tue ich das für euch.
Damit ihr in Ruhe nach der 9. Klasse die Schule abbrechen und freischaffende Künstler werden könnt.
Oder Kioskbesitzer.
Wenn euch das glücklich macht.

Bewerbungs-Freestyle

1 Okt

„Duhu…?!?“ sage ich.
„Jahaaaa?!?“ fragt er (Böses ahnend).
„Ich hab da ja diese Bewerbung, ne?!?“
„Jahaaaaa!!!!“ sagt er (noch Böseres ahnend).
„Und das ist ja alles nicht so schön, wie ich das so gemacht habe!“ ergänze ich, und versuche, dabei eine süße Grimasse zu ziehen, so eine, bei der man(n) dahinschmilzt und nicht anders kann, als mir zu helfen.
Scheint gelungen zu sein.
„Was hast du denn da genau?“ fragt er.
„Ja, diesen Lebenslauf halt. Und der müsste noch mal schön gemacht werden, also, inhaltlich hab ich das ja…“

Und das habe ich auch.
Tabellarisch aufgelistet jede einzelne meiner bisherige Tätigkeiten; es sind derer viele.
In Word.
WORD!!!
Das kann ein Wirtschaftsmathematiker und IT-Profi natürlich nicht verantworten.
Dass seine Freundin einen Lebenslauf in WORD abgibt.
Die Falle schnappt zu!
Das Ding wird überarbeitet!

„Wir machen dir das mal ein bisschen professioneller, als pdf!“ sagt er.
„Gut!“ sage ich, die dieses Internet auch noch mit dem Internet Explorer besucht (und habe keine Ahnung, was dieses pdf-Ding genau bedeutet). „Mach mal, wie du meinst, du kannst das sicher besser als ich!“
Er: „So, wie ich meine? Ohne, dass du bei jeder zweiten Änderung sagst: Ja, aber…?!?“
Ich: „Klar!!! Aber zeig mir, wie das genau geht, ich will das ja auch lernen!“
Neugierig schaue ich über die Schulter. In der Kopfzeile erscheint: Curriculum Vitae.
„Äh!“ sage ich.
Er: „Was?!?“
Ich: „Warum schreibst du das so?“
Er: „Klingt gut!“
Ich: „Nee. Klingt scheiße!“
Er: „Hast du mir nicht eben versprochen, nicht bei jeder zweiten Änderung…“
Ich: „Ist auch die erste Änderung. Und außerdem wusste ich auch nicht, dass du meinen „Lebenslauf“ „Curriculum Vitäääää“ nennst. Das ist mindestens Wegfall der Geschäftsgrundlage!“
Er: „Gerade ihr Juristen habt es doch so mit Latein!“
Ich: „Ja, aber ich bewerbe mich auf eine Stelle, die für eine Sozialwissenschaftlerin ausgeschrieben ist. Und außerdem hast du doch vorher gesagt, die Bewerbung soll nach MIR klingen.“
Seufzend ändert er die Kopfzeile wieder in „Lebenslauf“.
Ich nicke zufrieden.

Bei den persönlichen Daten erhebe ich keinerlei Protest.
Bei den bisherigen Tätigkeiten frage ich nach, ob man Aushilfe an der Käsetheke (1998-2001) nicht netter formulieren kann.
„Cheese Manager“ oder wenigstens „Käsethekenfachangestellte“.

Irgendwann kommen wir bei den Interessen an.
„Was soll denn da hin?“ fragt er.
„Ja, weißte doch, kennst mich doch!“ antworte ich.
„…außer Telefonieren und Shopping!“ sagt er.
Ich: „Achsojaklarhm!“
Er (schreibt) „Reisen“:
Ich: „Äh?!`“
Er „Ja- nicht?!?“
Ich: „Najaaa…“
Und denke daran, dass es mich regelmäßig in riesigen Stress versetzt, meine eigenen 4 Wände zu verlassen.
Fahren wir ein Wochenende nach Berlin, habe ich
a) 2 Koffer und 1 Reisetasche plus diverse Stoffbeutel dabei, weil ich ja nicht weiß, was wir so machen werden (möglicherweise fahren wir ja Kanu auf der Spree oder werden spontan auf einen Opernball eingeladen), wie das Wetter so wird (auch im Juli sollen die Temperaturen in Deutschland ja manchmal unter 0 fallen, weswegen es einer Skihose und Schneestiefeln bedarf, vorsorglich!)
b) leide ich im Auto bis mindestens Magdeburg unter akuter Panik, Herd, Glätteisen oder Kaffeemaschine könnten meine Wohnung in Brand setzen
c) habe ich die permanente Sorge, mich nicht verständigen zu können („Wir fahren nach Berlin, nicht nach Tokio!“ „Ja, aber die sagen zu Brötchen ja auch „Schrippen“…“)

Allerdings, klar, Urlaub generell finde ich eher gut.
Also bleibt „Reisen“ stehen.

„Tanzen!“ ergänze ich.
Er guckt mich irritiert an. „Tanzen???!!!???“
Ich: „Ja, klar! Ich hab Orientalischen Bauchtanz bei der VHS gemacht. Drei Kurse! Und Flamenco. Und Freien Tanz für Körper, Geist und Seele!“
ER: „Ja, aber du KANNST das doch nicht.
Ich (kleinlaut) „Aber mein Discofox war nach der Schützenfestsaison gar nicht soooo schlecht!“
Er: „Du hast da gemacht, was du willst, und dich nicht führen lassen!“
Ich: „Ich bin halt Mia Wallace!“
Wir lachen, und lassen „Tanzen“ weg.
Er (schreibt): „Singen.“
Ich: „?!?!?Merkste selbst?!?!?“
(Ich singe gerne, zugegebenermaßen. Und bei Singstar, so ab dem zweiten Glas Sekt, bin ich dann auch der festen Überzeugung, es zu KÖNNEN).
Wir ändern „Singen“ in Musik. Immerhin spiele ich ja Querflöte. Gar nicht ganz so schlecht.

Nachdem ich mich habe überzeugen lassen, dass „Kindergeschichten schreiben“ einen zukünftigen Arbeitgeber möglicherweise nicht überzeugen wird, mich für juristische oder sozialwissenschaftliche Tätigkeiten einzustellen und wir das ganze unter den Oberbegriff „Literatur“ subsumiert haben (ich schreibe und lese ja auch sonst alles, was sich so anbietet, und bin immerhin stolze Eigentümerin einer Bibliothek mit ca 2000 Büchern), schließen wir die Kategorie „Hobbies“ und damit auch die Bewerbung ab.

Ich bin zufrieden.
Alles in allem ist mein Curriculum Vitae ja gar nicht so uninteressant. Auch ohne Kindergeschichten.
Und es ist eine pdf-Datei.

Und wenn ich es zu einem persönlichen Gespräch schaffen sollte, kann ich ja dort auch immer noch meine Freestyle-Discofox-Choreo vortanzen.
Sofern es sinnvoll erscheint.